Für uns ist Inklusion eine Grundhaltung, Unterschiede bereichern

Schulleiterin Petra Boulannouar verabschiedet sich nach neun Jahren an der Spitze der Anne-Frank-Schule

Petra Boulannouar verabschiedet sich in den wohlverdienten Vorruhestand. Die 63-Jährige leitet die Anne-Frank-Schule seit Februar 2012. Unser Reporter Rüdiger Koslowski blickt mit der scheidenden Schulleiterin auf ihre Zeit an der Integrierten Gesamtschule zurück.

Frau Boulannouar, was war vor neun Jahren Ihr erster Eindruck von der Anne-Frank-Schule?
Petra Boulannouar: Mein erster Eindruck war, dass das genau der richtige Arbeitsplatz für mich ist. Ich bin der Überzeugung, dass alle Kinder die gleiche Chance haben müssen, dass auch jene Kinder Unterstützung erhalten, wenn sie ihnen Zuhause nicht zuteil wird. Die Anne-Frank-Schule bietet genau das.

Was haben Sie heute für einen Eindruck von Ihrer Schule?
Dass die Schule ganz wunderbar aufgestellt ist. Die Lehrkräfte werfen einen ganzheitlichen Blick auf die Kinder. Das Lernen an der Schule gelingt gut, jeder Schüler kann nach seinen Möglichkeiten und in seinem Tempo lernen.

Sie waren stellvertretende Schulleiterin an der Heinrich-von-Brentano- Schule in Hochheim. Warum sind Sie an die Anne-Frank-Schule gewechselt?
Ich hatte in dieser Position einen Blick auf die Schulen der Region. Die Anne-Frank-Schule interessierte mich als Ganztagsschule und wegen ihrer eingerichteten Lernzeiten für die Schüler. An der Schule wurde das Integrative besonders stark praktiziert.

Was betrachteten Sie als vorwiegende Aufgabe bei Ihrem Dienstantritt?
Ich wollte dafür sorgen, dass alle Lehrkräfte ihren Beruf optimal ausüben können. Dafür braucht man Ressourcen. Wir wurden zu einer selbstständigen Schule (SES) mit zusätzlichen Handlungsspielräumen und konnten über finanzielle Ressourcen Fortbildungen ermöglichen. Davon profitierten am Ende schließlich die Schüler.

Wie haben sich während Ihrer Zeit die Strukturen an der Schule verändert?
Wir bildeten Jahrgangsteams und Schulentwicklungsteams, die gut zusammenarbeiten. Die Schüler erstellen heute Lernportfolien und führen mit ihren Lehrkräften ausführliche Lernentwicklungsgespräche. Die Eigenarbeit der Schüler wurde in den Mittelpunkt gestellt. Wir legen großen Wert darauf, dass die Schüler selbstständig lernen, sich steuern und reflektieren.

Wie haben sich die Anforderungen an die Lehrer verändert?
Heute steht das kompetenzorientierte Arbeiten im Vordergrund. Es wird nicht nur gelerntes Wissen abgefragt, sondern es muss angewendet werden können. Der Fachlehrer baut eine gute Beziehung zu den Schülern auf, die auch in kritischen Momenten trägt. Die Lehrkräfte führen regelmäßig ermutigende Lernentwicklungsgespräche und sorgen für ein fruchtbares Lernklima.

Welchen Stellenwert hat die Integrierte Gesamtschule im Vergleich zur Haupt- und Realschule und zum Gymnasium?
Die Integrierte Gesamtschule leistet viel gesellschaftliche Arbeit. Sie selektiert nicht, sondern inkludiert. Für uns ist Inklusion die Grundhaltung, dass Unterschiede eine Bereicherung sind. Die Frage, wie viel Solidarität es in unserer Gesellschaft geben soll, ist eine wichtige Frage. Und auch nach dem Besuch der Integrierten Gesamtschule ist das Abitur möglich.

An Corona kommt man derzeit nicht vorbei. Können Sie mittlerweile etwas Positives aus dieser schwierigen Zeit ziehen?
Wir haben alle bei den Video-Konferenzen Fortschritte gemacht. Die Möglichkeit des Hybridunterrichts ist schon eine ganz gute Entwicklung. Die technische Ausstattung hinkt allerdings hinterher. Im Lockdown waren die Kinder sehr isoliert, doch die Lehrer haben den Fokus auf die Gestaltung der Beziehung gelegt, was lange Zeit getragen hat. Allerdings sind auch viele soziale Kompetenzen verloren gegangen, insbesondere bei den Jahrgängen sieben und acht, die es ganz besonders schwer haben.

Frau Boulannouar, was haben Sie nun im Vorruhestand vor?
Ich bleibe meiner Grundhaltung treu und will weiterhin mit Menschen arbeiten. Ich bin Vorsitzende eines Hospizvereins in Groß-Gerau geworden. Wir wollen ein Hospiz bauen. Ich arbeite dabei mit wunderbaren Menschen aus unterschiedlichen Professionen zusammen. Ich bin gespannt, was noch kommt.

Petra Boulannouar verlässt die Anne-Frank-Schule und geht in den Vorruhestand. Sie verbindet viele schöne Erinnerungen mit ihrer Zeit als Schulleiterin in Raunheim. (Foto: Rüdiger Koslowski)

Erschienen am 30.06.2021 im Rüsselsheimer Echo
Autor und Foto: Rüdiger Koslowski

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